Tanja Schlampp, 20. Mai 2017
Der Bau des Leitdamms hat für das Wattgebiet vor Cuxhaven eine verhängnisvolle Entwicklung in Gang gesetzt. Man könnte ihn auch als "Leiddamm" bezeichnen, denn genau das ist er. Ein Strombauwerk, mit dem Ziel errichtet, eine Verlandung der 3. Fahrrinne herbeizuführen, um Baggerkosten zu sparen.
Die 3. Fahrrinne - das war das sogenannte Kugelbakefahrwasser, das bis zur Kugelbake heranreichte. An ihr waren die Priele des Döser und Duhner Watts angeschlossen. Über die Priele erfolgt die lebensnotwendige Entwässerung der Watten. Die Entwässerung ist aktuell deutlich eingeschränkt und erfolgt überwiegend küstenparallel über den weit im Westen liegenden Priel "Altoxstedter Tief".
In den Planungsunterlagen aus dem Jahr 1938 ist zu lesen, dass die Abriegelung des Kugelbakefahrwassers durch den Leitdamm zu einer schnellen Verlandung führen wird. Ende der 60er Jahre hat der Leitdamm jedoch noch nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt, so dass eine weitere drastische Maßnahme ergriffen worden ist: Die Schließung der Lücke bei der Kugelbake. In den darauf folgenden 5 Jahren hat eine beträchtliche Sedimentation und Verringerung der Wassertiefe stattgefunden.
1975 wurde der Leitdamm um 3 km verlängert. Um die Auswirkungen der Verlängerung des Leitdamms zu untersuchen, wurde seinerzeit die Uni Kiel beauftragt.
Diese kam zu dem Schluss, dass die Verlängerung des Leitdamms die Sedimentation weiter verstärken bzw. beschleunigen wird. Wie wir bei einem Vergleich historischer Wattkarten mit der aktuellen Wattkarte feststellen können, ist der Plan von damals aufgegangen. Das Kugelbakefahrwasser ist großflächig verlandet und nicht mehr befahrbar. Dieser Zustand ist planmäßig herbeigeführt worden.
Aber genau an diesem Punkt kann die Hilfe für das Watt ansetzen: Die 3. Fahrrinne muß sich wieder bilden dürfen. Das kann durch das Wiederöffnen der geschlossenen Lücke bei der Kugelbake geschehen. Und des Weiteren durch den Rückbau der um 3 km erfolgten Verlängerung des Leitdamms. Unsere Forderungen werden aber auf massiven Widerstand seitens des WSA Cuxhaven stoßen. Das Verlanden des Kugelbakefahrwassers zugunsten einer Hauptfahrrinne für die Schifffahrt ist auch heute noch erklärtes Ziel des Wasser- und Schifffahrtsamtes Cuxhaven (WSA). Diese Zielsetzung aus dem Jahr 1938 (!) passt so gar nicht mehr in die heutige, vom Naturschutz geprägten Zeit. Das Wattenmeer vor Cuxhaven ist ein gleich mehrfach streng geschütztes Naturschutzgebiet. In § 2 Nationalparkgesetz zum Schutz des Wattenmeeres heißt es:
"Die Natur und Landschaft der Wattregion vor der niedersächsischen Küste soll in ihrer besonderen Eigenart erhalten bleiben und vor Beeinträchtigungen geschützt werden". Quelle: § 2 NWattNPG; Nationalpark-Gesetz „Niedersächsisches Wattenmeer“ vom 11. Juli 2001 (Nds. GVBl. 2001, S. 443), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 19.02.2010 (Nds. GVBl. S. 104) (NWattNPG)
Die UNESCO hat im Jahr 2009 das Wattenmeer als Weltnaturerbe ausgezeichnet. Damit zählt das Wattenmeer zu den weltweit wertvollsten und unverzichtbaren Naturlandschaften. Der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer kam erst später hinzu, da Hamburg anfangs befürchtete, der Weltnaturerbestatus könnte Auswirkungen auf die geplante Elbvertiefung haben und somit zulasten des Hafens gehen. Für Hamburg hat der Hafen stets Vorrang vor dem Naturschutz, und für das Land Niedersachsen? Das wollen wir von unserem Landesvater in Erfahrung bringen.
Der Leitdamm wurde mit Unterbrechungen zwischen 1939 und 1972 erbaut, ist aber erst ab 1968 hydraulisch wirksam.
Die Uni Kiel hat in einer Studie bereits 1974 die langfristige Wirkung des Kugelbake- Leitdamms auf die Watt- und Strandgebiete vor Cuxhaven beschrieben. In den ca. 5 Jahren vor dieser Studie, also vor der Verlängerung des Leitdamms, haben die Untersuchungen ergeben, dass sowohl Sand-Akkumulations- als auch Erosionswirkungen zu erkennen waren. Im gesamten Bereich des vom Leitdamm abgetrennten Neuwerker Fahrwassers wurde eine erhebliche Verringerung der Wassertiefe und insgesamt eine beträchtliche Sedimentation nachgewiesen. Gleichzeitig erfolgte eine bedeutende Vergrößerung des Mittelgrundes.
In den Jahren von 1968 bis 1974 war bei zunehmend rasch fortschreitender Sedimentation eine verstärkte Auffüllung festzustellen. Diese Entwicklung sei zweifellos auf die Schließung der Öffnung im Leitdamm vor der Kugelbake und die Erhöhung der Dammkrone 1968 und 1969 zurückzuführen.
Das Neuwerker Fahrwasser habe im Verlauf der fortschreitenden Sedimentation seine Funktion als Flutrinne des Elbfahrwassers allmählich verloren. Sehr starke Veränderungen würden sich im Winkel zwischen dem Steilsand und dem Leitdamm abzeichnen. Seit der Schließung der Leitdammöffnung erfolge auch hier verstärkte Akkumulation. Das zur Ablagerung kommende Material werde im Wesentlichen vom Westen her mit dem Flutstrom hereingetragen.
Einen weiteren Anteil würden besonders Frühjahrs- und Herbststurmfluten haben. Schließlich liefere die Verklappung von Baggergut aus dem Elbfahrwasser zusätzlich eine beträchtliche Materialmenge. In der natürlichen Sedimentation wurde dabei eine stetige Abnahme der Korngrößen beobachtet.
Weiter heißt es in der Studie:
"Die progressive Tendenz zur Akkumulation bei gleichzeitig stetig zunehmender Feinkörnigkeit des zur Ablagerung kommenden Sediments ist eindeutig als Folge abnehmender Strömungsintensitäten und längerer Stauwasserzeiten zu erklären. Dadurch können auch Feinbestandteile ausfallen. Die Ursache dafür ist der Ausbau des Leitdamms. Die geplante Verlängerung des Leitdamms wird den Vorgang der Sedimentation über die dargelegten Prozesse hinaus noch verstärken. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass der Leitdamm in seiner bisherigen Gestalt schon einen erheblichen Teil zu der sich immer deutlicher abzeichnenden Entwicklung beigetragen hat. Die geschilderten Prozesse werden - auch wenn vielleicht in einer längeren Zeitfolge - auch ablaufen, wenn die Verlängerung des Leitdammes um ca. 3 km nicht mehr vorgenommen werden würde. Ganz abzuwenden ist die Entwicklung auf jeden Fall nicht."
Quelle: 12-1974, Heinz Klug, Uni Kiel: Morphologische Untersuchungen über den Einfluss des Kugelbake-Leitdammes und seiner geplanten Verlängerung auf die Watt- und Strandgebiete vor Cuxhaven, Seiten 102, 105.
Diese Ergebnisse der Uni Kiel sind über 40 Jahre alt, aber aktueller denn je. Seinerzeit war die Menge des verklappten Baggergutes nicht annähernd so groß wie heute. Somit ist es nicht verwunderlich, dass von dem bei der Errichtung noch mehrere Meter aus dem Watt ragenden Strombauwerk inzwischen nur noch die Dammkrone sichtbar ist, welche sich fast auf dem gleichen Höhenniveau wie der aufgehöhte Wattboden befindet. In diesem Bereich kann man allerdings in Küstennähe nicht mehr vom Watt sprechen, sondern von Sand mit Steinen und Geröll (s. Foto); ein Indiz dafür, dass dafür die Verklappungen ursächlich sind.
Durch den Bau des Leitdammes Kugelbake wurden auch die Fahrwasserverhältnisse stabilisiert. Das Fahrwasser hat sich seitdem anstatt auf drei Rinnen nur noch auf Mittelrinne und Norderrinne konzentriert. Nicht zuletzt wird durch den Leitdamm der Sedimenteintrag in das Elbefahrwasser reduziert und somit auch der Aufwand für Unterhaltungsbaggerungen. So steht es auch auf der Homepage des WSA Cuxhaven. dort heißt es wörtlich:
"Dieses Strombauwerk fängt den von Westen kommenden Sandtransport vor der Fahrrinne der Elbe ab und senkt so die Unterhaltungsbaggerkosten".
Und somit sind wir beim Sprung von 1974 bis in die Gegenwart. Aufgrund der dramatischen Verschlickung des Watts, der Berichterstattung über die Verklappungen bei Tonne E3 sowie der zahlreichen Leserbriefe in der Presse waren im Sommer des letzten Jahres Fachleute aus dem niedersächsischen Umweltministerium in Cuxhaven. Diese machten deutlich, dass der Leitdamm für das Schlickproblem verantwortlich ist. Das Ministerium beruft sich dabei auf eine Studie der Forschungsstelle Küste (FSK) des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten-und Naturschutz (NLWKN). Die FSK wiederum bezieht sich auch auf die Studie der oben zitierten Uni Kiel von 1974.
Zusammenfassend hat die FSK festgestellt, dass der Leitdamm langfristig zu einer Verlandung der Priele und einer Aufhöhung des Wattgebietes vor der Cuxhavener Küste führe. Dadurch verringere sich der Seegang so, dass die eingetragenen Schlickablagerungen nicht wie früher wieder durch die natürliche Strömung seewärts transportiert werden können.
Somit hat die Uni Kiel mit ihrer Studie bereits 1974 die langfristige Wirkung des Leitdamms als Sedimentfang beschrieben.
Das hydrodynamische Gleichgewicht wurde durch den Leitdammbau infolge des reduzierten Flutraumes massiv gestört. Dieser erhebliche Eingriff des Menschen in die Natur rächt sich nun und ist ein weiteres trauriges Beispiel, dass sich die Natur nicht alles gefallen lässt. Wäre es nicht zu dem Bau dieses Strombauwerks gekommen, dann wäre dem Watt sehr viel Leid erspart geblieben.